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Das Referendum im Sudan und die möglichen Fallstricke

Politische Karte des Sudan (Region Süd-Sudan).

10. Januar 2011
Kirsten Maas-Albert.
Mit dem Referendum hat der Südsudan die Unabhängigkeit gewählt. Derweil versichert Staatspräsident Omar al-Bashir entgegen aller Erwartungen, dass er das Ergebnis des Referendums respektieren und den Süden in seiner Staatswerdung nachbarschaftlich unterstützen will.

Solcher voraussehbarer Aspiration und überraschender „Akzeptanz“ zum Trotz: Die Gefahren sind noch längst nicht gebannt. Eine Vielzahl von heiklen Fragen, die im politischen Raum stehen, bedürfen eines Mechanismus, der weit über die vorgesehene Dauer des bisherigen Friedensabkommens hinaus reicht. Das Referendum markiert zunächst die Endphase des Comprehensive Peace Agreement (CPA), das 2005 einen der längsten Bürgerkriege Afrikas beendete: Ein System der Machtbeteiligung in Khartum, Teilautonomie für den Süden, Verteilung der Öleinahmen, beidseitige Programme zur Demobilisierung, Wahlen und letztlich die Möglichkeit zur Abtrennung durch Volksabstimmung wurden durch das CPA geregelt und (auch mit zahlreichen Spannungen und Verzögerungen) von der internationalen Staatengemeinschaft eng begleitet.

Nun ist aber nicht zu erwarten, dass all die sich angesichts der Sezession stellenden Fragen - Grenzziehung, Staatsbürgerschaft, Öleinnahmen oder der Umgang mit Staatsschulden und internationalen Abkommen - innerhalb der nach dem Referendum vorgesehenen sechsmonatigen Übergangsphase zu einer für beide Seiten akzeptablen Lösung gebracht werden können. An fast jeder dieser auszuhandelnden Fragen können gefährliche Konflikte aufbrechen, die auch einen Rückfall in Krieg bedeuten könnten.

Heikle Grenzfrage
Allein schon die Grenzfrage ist heikel. Daher braucht es bei der bevorstehenden Unabhängigkeitswerdung des Südens dringend Unterstützung bei der Sicherung des Grenzgebiets, um Zwischenfälle gerade dort zu vermeiden, und gleichsam weitere, diplomatisch ausgeklügelte Hilfestellungen beim Aushandeln einer Lösung.

Entscheidend für die Zeit nach dem Referendum wird auch sein, ob beide Seiten im Umgang mit dem wirtschaftlich so wichtigen Rohstoff Öl kooperieren. In welchem Maße regelmäßige und verlässliche Öleinkommen der überwiegend im Süden lagernden Reserven erwirtschaftet werden können, hängt nicht zuletzt von der zum Roten Meer führende Pipeline im Norden des Landes ab. Alternativen wie der Bau einer Pipeline durch Kenia oder nach Uganda sind zeitaufwendig und äußerst kostspielig und bieten wieder Konfliktstoff, wenn der Norden Interesse daran hat, das Öl-Nadelöhr für den südlichen Nachbarn zu bleiben. Es gibt eine Vielzahl weiterer möglicher Fallstricke im Verhältnis der zukünftigen Staaten, die von Experten hinlänglich im Reader "Sudan - kein leichter Weg" beschrieben worden sind.

Aber auch jeder der beiden Staaten für sich birgt explosives „Material“ für die  international so gefürchtete Möglichkeit einer Destabilisierung der Region: Für den Süden bleibt ungewiss, ob die von der Bevölkerung ersehnte Friedensdividende wirklich eintritt und die dort so gravierende Armut mildern kann. Noch bleibt abzuwarten, ob funktionierende Institutionen geschaffen werden können, die das Leben und vor allem Zusammenleben der heterogenen Bevölkerung regeln können. Interne Machtkämpfe zwischen verschiedenen Stämmen könnten die im Süden regierende SPLM rasch in Bedrängnis bringen. Die für eine Staatswerdung und Entwicklung so überaus notwendige internationale Unterstützung muss dies immer vor Augen haben.
 
Und auch der Norden hat mit Problemen an vielen Stellen der „Peripherie“ zu kämpfen. Der Darfur-Konflikt ist so wenig gelöst wie zukünftiger Umgang mit einigen anderen marginalisierten Randgebieten.

Internationales Engagement braucht „langen Atem“
Was der Sudan daher am meisten braucht, ist eine Fortsetzung des erhöhten Engagements und Aufmerksamkeit weit über das Referendum hinaus. Eine solche dauerhaftere Verpflichtung scheint im diplomatischen Tagesgeschäft erst langsam auf die Agenda gerückt.
 
Zugegeben, nicht alle Dynamiken und Ereignisse der nächsten Jahre sind in diesem schwierigen Terrain voraussehbar. Dennoch erscheint es gerade für die Europäer überfällig, eine Anzahl von möglichen Szenarien auf politische Einflussmöglichkeiten zu prüfen und den politischen Willen dafür zu entwickeln. Sich darauf zu verlassen, dass für beide ehemaligen Kriegsgegner ein Rückfall in die Gewalt zu kostspielig erscheint, reicht dabei nicht aus. Die von den USA unlängst in Aussicht gestellte Einstellung der Sanktionen mögen die Regierung in Khartoum mit dazu bewogen haben, die Sezession zuzulassen und weckt in Khartoum Begehrlichkeiten, aus der politischen Isolation herauszukommen. Infolge blickt der Norden des Sudan auf mögliche Investitionen aus Europa.

Ein internationales Engagement mit „langem Atem“ bleibt neben der Kompromissbereitschaft und „Kosten-Nutzen-Rechnung“ der sudanesischen Parteiungen ein bestimmender Garant für eine friedliche Entwicklung der beiden Staaten.

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Die Autorin Kirsten Maas-Albert ist Leiterin des Referats Afrika der Heinrich-Böll-Stiftung